Münster (em/lm) Künstliche Intelligenz ist DAS Schlagwort in Wirtschaft und Gesellschaft. So wird viel spekuliert, was Roboter in Zukunft für uns tun und welcher Platz für die Menschen bleibt. Die Frage ist aber: Was können die Maschinen wirklich und was sind die relevanten Aspekte, die wir Menschen dringend jetzt diskutieren müssen?

Die Debatte um Künstliche Intelligenz wird hysterisch geführt. Auf der einen Seite wird die angebliche Begabung der Maschinen in den Himmel gelobt: Seit ein Computer den weltbesten Go-Spieler geschlagen hat, heißt es allerorten „sie lernen selbstständig und sind besser, als ein Mensch jemals sein kann“. Auf der anderen Seite sprechen die Pessimisten von den Gefahren der eigenständig agierenden Automaten und der fatalen Unterlegenheit des Menschen. Es wird meist in diesen Extremen diskutiert und zudem mit Begrifflichkeiten hantiert, die unpassende Bilder in unseren Köpfen erzeugen. Begriffe wie Lernen, Intelligenz, Emotionen, Wertschätzung oder auch Empathie gehören in die Welt der Menschen. Maschinen, Roboter, Computer, Programme, Algorithmen, oder wie immer Sie es nennen wollen, können genau eine Sache: Rechnen. Und damit ist so einiges möglich, nämlich wohldefinierte und von uns Menschen formulierte Probleme lösen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Die Idee, dass Rechner auf eigene Ideen kommen, Entscheidungen selber treffen oder uns als Arbeitstiere in Lagern halten ist weiterhin Science-Fiction und gehört ins Kino. Real dagegen ist der vermehrte Einsatz des Maschinellen Lernens (Künstliche Neuronale Netze) in Gesellschaft und Wirtschaft. „Der Mitarbeiter steht bei uns im Mittelpunkt“ heißt es in Unternehmen. Bewirbt sich ein neuer Mitarbeiter, muss er sich jedoch erstmal von Chatbots interviewen lassen. Der Kunde steht ja auch gerne mal im Mittelpunkt - am Telefon wird er aber möglichst von Maschinen bedient. Recruiting, Anforderungsmanagement, Kundenerwartungen, Marktdynamiken, Teamarbeit alles komplexe Kontexte. Hier suchen wir nach immer mehr Einsatzmöglichkeiten für Algorithmen. Die können komplex aber nicht, nicht mal im Ansatz. Also, was wollen wir Menschen denn eigentlich? Wir machen häufig all das, was technologisch machbar ist, weil es halt technologisch machbar ist. Da kommt dann leider auch viel Unsinniges bei heraus, wie zum Beispiel ein Facebook- Algorithmus der berechnet, wann unsere Freunde sterben.

Der Mensch bleibt in der Verantwortung
Besonders zu betrachten sind die Einsatzgebiete, bei denen Menschen bewertet werden. Künstliche Neuronale Netze werden mit Daten trainiert, um dann im Folgenden ohne explizite Anleitung Wahrscheinlichkeiten (beispielsweise wie gut ein Bewerber auf eine Stelle passt) zu errechnen. Die SCHUFA berechnet Ihre Kreditwürdigkeit mit einem Scoring- Verfahren. Ihre Kfz-Versicherung bestimmt Ihren Schadenfreiheitsrabatt, in dem sie Sie kategorisiert. Unternehmen nutzen vermehrt Künstliche Intelligenz, um das Bewerberauswahlverfahren zu verbessern. Hier werden Maschinen eingesetzt, um Menschen zu bewerten. Das ist nicht neu, bekommt aber mit den Möglichkeiten des maschinellen Lernens eine neue Dimension. Dabei ist auch hier die Technik selbst weder Problem noch Risiko. Die Frage ist, wie und wofür wir Menschen sie einsetzen. Die Programme tun stumpf, was man ihnen vorgibt. Sie können keinen Kontext berücksichtigen, Diskriminierung erkennen oder so etwas wie Intuition in ihre Berechnung einfließen lassen. Aus diesem Grund müssen wir Menschen sehr genau überdenken, wo, wie und wozu wir Maschinelles Lernen nutzen und wann eben nicht. Nur weil es etwas technisch möglich ist, muss es nicht zwangsläufig sinnvoll sein.

„KI im Recruting“ ist doch viel objektiver, oder? Könnte man meinen, denn ein Computer hat weder Sympathien noch Tagesform. Diese Systeme werden mit den Vergangenheitsdaten des jeweiligen Unternehmens gefüttert und „lernen“ so, welche Menschen mit welchen Kompetenzen und Fähigkeiten für welche Rolle ausgewählt wurden. So setzte auch Amazon eine solche Lösung ein, bis deutlich wurde, dass das System Frauen diskriminiert. Die Damen wurden einfach nicht entsprechend als potentielle Mitarbeiter vorgeschlagen. Warum? Weil in den Daten der Vergangenheit einfach sehr wenig Daten zu Frauen generell vorlagen. Das Neuronale Netz lernte daraus, dass Frausein eher ungünstig ist und schlug die Kandidatinnen nicht vor. Das ist nur ein Beispiel von vielen, die uns deutlich machen, dass wir über den sinnvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz diskutieren müssen. Und, dass wir dafür ein Grundverständnis von den Technologie brauchen. Um selbstverantwortlich zu führen, digitale Systeme einzusetzen und generell in dieser technologisierten Welt gut zu leben, sollten alle Menschen lernen, was Künstliche Intelligenz wirklich bedeutet, was sie kann und was nicht. Dann können wir im gemeinsamen Diskurs festlegen, wofür wir sie einsetzen.

Buchtipp:
Stephanie Borgert
Die kranke Organisation: Diagnosen und Behandlungsansätze für Unternehmen in Zeiten der Transformation
ISBN 978-3-86936-900-6
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Mal ehrlich, wie oft denken Sie in Ihrem Job „Das ist doch krank, was wir hier machen!“?
In unserer komplexen, dynamischen und vernetzten Arbeitswelt stoßen wir mit den althergebrachten Management- und Führungsmethoden immer häufiger an Grenzen. Wir merken das sehr genau und spüren ein Unwohlsein. Die viel zu schnell gestellte Diagnose lautet häufig: Mit den Menschen stimmt etwas nicht.